"Architektur, Mensch und Natur haben sich entkoppelt"
Wir sprachen mit Architekt Christoph Hesse über Bauen auf dem Land und moderne Landhaus Architektur.
Moderne Landhaus Architektur auf dem Land
Die Bedürfnisse von Bauherren, die Häuser in ländlichen Regionen bauen, unterscheiden sich von den Ansprüchen von Eigenheimbesitzern in urbanen Gebieten. Dabei müssen neue Einfamilienhäuser auf dem Land nicht immer traditionell daherkommen. Eine moderne Landhaus Architektur fügt sich harmonisch in die Umgebung ein, ohne dabei auf zeitgemäße Akzente zu verzichten.
Dabei können ländliche Siedlungsgebiete sogar von der modernen Landhaus Architektur in Sachen Nachhaltigskeit profitieren. Wie in diesem Fall: Architekt Christoph Hesse hat für einen Bauherrn im westfälischen Medebach, „mit landwirtschaftlichem Hintergrund, aber eher Erfinder als Landwirt und einer der Pioniere der Biogas-Technologie“, ein autarkes Haus in Zylinderform geplant. Abwässer und die übrigen organischen Abfälle werden in die Biogasanlage befördert, die dem Gebäude dafür die Wärme liefert. Das machte die Nachbarn nachdenklich. Mittlerweile ließ sich "das ganze Dorf an das Nahwärmenetz des Betriebs anschließen".
Zur Person: Christoph Hesse
Christoph Hesse erhielt ein Architektur-Diplom von der ETH Zürich und erlangte einen Master in Architektur und Städtebau mit Auszeichnung von der Harvard University Graduate School of Design. Später gründete der gebürtige Sauerländer das Büro ChristophHesseArchitekten mit Standorten in Korbach und Berlin. Er lehrte an der ETH Zürich, der Harvard University, der Ho-Chi-Minh-Universität für Architektur in Saigon, der Technischen Universität Darmstadt sowie an der Universität Kairo.. Am Global Urban Studies Institute (GLOBUS) der Internationalen Akademie Berlin führt Christoph Hesse städtische Forschung durch. Darüber hinaus war er als Berater für die Bundesregierung, die Europäische Union (EU) und die Vereinten Nationen (UN) tätig.
Wir sprachen mit Christoph Hesse über Bauen auf dem Land und wollten u.a. von ihm wissen, wie sich Bauen auf dem Land von städtischer Architektur unterscheidet.
Interview mit Architekt Christoph Hesse
Worauf ist bei Neubauten auf dem Land im Vergleich zu Projekten in der Stadt besonders zu achten?
Im ländlichen Raum ist das Bauen traditionell elementarer als in der Stadt. Die Art und Form der Gebäude entwickelten sich in direkterer Weise aus der Nutzung, den Materialien, der Topografie und den Wetterbedingungen. Zudem lebten und arbeiteten mehrere Generationen, oftmals zusammen mit den Haustieren, unter einem Dach. Das Leben war ganzheitlicher. Dies hat sich im Lauf der Zeit natürlich geändert, da heute nur noch ein kleiner Teil der ländlichen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist. Dennoch ist es bei den meisten Bauherren immer noch tief verankert, kreativ am Entwurfsprozess teilzunehmen und bei der Umsetzung des Gebäudes mitzuwirken. Entwürfe verbleiben insofern nicht auf einer eher konzeptuellen Ebene, sondern erfahren eine menschlichere und ortsspezifischere Tiefe, die dadurch zu sehr unterschiedlichen Resultaten führen können.
Stadt oder Land: Wohin geht der Trend?
Der Trend ging in den letzten Jahrzehnten eindeutig in Richtung Stadt. In vielen ländlichen Regionen stagniert dieser Prozess jedoch und könnte sich sogar umkehren. Die Gründe hierfür liegen in den niedrigeren Lebenshaltungskosten und an den besseren Möglichkeiten, sich aktiv an der Gestaltung des eigenen Lebensraumes einbringen zu können. Aus meiner Sicht haben sich Architektur, Mensch und Natur in den letzten 25 Jahren des Turbokapitalismus mehr denn je voneinander entkoppelt. Immer mehr Menschen wurden zu passiven Konsumenten degradiert und haben heute den Drang, dies zu ändern. Aufgrund flexibler und unbürokratischer Strukturen sowie kürzerer Entscheidungswege bietet der ländliche Raum hier klare Vorteile.
Der Landlust-Trend wird vielfach als Sehnsucht nach "heiler Welt" interpretiert. Kann man das baulich umsetzen?
Wenn mit „heiler Welt“ die Möglichkeit gemeint ist, sich kreativ an der Gestaltung einer nachhaltigen und ganzheitlichen Lebensumwelt beteiligen zu können, stimme ich dem Begriff „Landlust“ zu. Ansonsten scheint es eher eine Worthülse zu sein, die wenig mit der Realität auf dem Land zu tun hat.
Was verbinden Sie mit dem Landhausstil?
Der Begriff Landhausstil ist semantisch besetzt und bedeutet wahrscheinlich so viel wie heimelig, gemütlich und idyllisch. Das entspricht aber nicht der Wirklichkeit des ländlichen Raums. Historisch betrachtet entstand aufgrund knapper Ressourcen vor allem in den kargeren Mittelgebirgsregionen Deutschlands ein kreativer Erfindergeist, der zu nachhaltigen Innovationen führte, ebenso bodenständig wie visionär. Das heißt stetiger Wandel ist ein immanenter Teil des ländlichen Lebens und geschieht wesentlich schneller und emblematischer als in der Stadt.
Was sind typische Stilmerkmale des Landhausstils?
Aus meiner Sicht gibt es keine typischen Stilmerkmale des sogenannten Landhausstils. Es sind weder die Form des Daches, noch die Fensteraufteilung oder die Fassadenmaterialien, die entscheidend sind. Ein guter Entwurf reagiert in ernsthafter Weise auf die Wünsche und Sehnsüchte der Bauherren und stellt das Gebäude in enge Beziehung mit der Umgebung. Da dies naturgemäß extrem variieren kann, sind die Gebäude so unterschiedlich wie das Leben und der jeweilige Ort selbst.
Gibt es bei einem Landhaus bestimmte Vorlieben hinsichtlich der Materialien?
Die Materialität eines Gebäudes sollte sich durch Langlebigkeit auszeichnen. Zudem bildet der Bauprozess, der manchmal über mehrere Jahre geht, einen wesentlichen Bestandteil der Haptik. Die Dinge müssen nicht immer schnell fertig und perfekt sein. Die Schönheit und das Zusammenspiel der Materialien entwickeln sich oft sehr langsam und anders als zunächst gedacht.
Regionale Einflüsse scheinen eine große Rolle zu spielen. So gibt es den bayerischen, skandinavischen, amerikanischen, englischen oder französischen Landhausstil. Warum ist das so?
Jede Region hat ihre eigene Kulturgeschichte. Dies machte den jeweiligen Charme aus und beeinflusst das Bauen auf unterschiedlichste Weise. Manchmal ist es eine Kombination aus Materialität und Landschaftsbezug, ein anderes Mal eine robuste Typologie gepaart mit kulturellen Einflüssen wie Religion oder Kunst.
Viele verbinden damit womöglich einen "urigen" Stil. Was zeichnet den modernen Landhausstil aus?
Der Begriff „moderner Landhausstil“ ist kritisch zu betrachten, da er aus meiner Sicht an den Herausforderungen unserer Zeit vorbeizielt. Diese können nicht durch Formalismen gelöst werden, sondern durch kreative und innovative Argumente, die übertragbar sind, sei es auf andere Projekte oder auf andere Maßstabsebenen.
Haben Sie dafür ein Beispiel ais der Praxis?
Ich möchte dies gerne am Bespiel der Villa F, einem energieautarken Haus in Titmaringhausen, einem kleinen abgelegenen Dorf im Sauerland, darstellen. Der Bauherr dieses Hauses hat seine Wurzeln in einer bäuerlichen Familie, die ihren angestammten Hof im Ort über viele Generationen bewirtschaftet hat. Er selbst allerdings ist eher Erfinder als Landwirt: Er ist, gemeinsam mit seinem Vater, ein Pionier der Biogas-Technologie in Deutschland.
Das Haus sollte dem gesamten Dorf als Vorbild dienen und zeigen, wie man nachhaltig lebt und dabei Geld spart. Es hat ein effizientes Oberflächen- Volumenverhältnis und wurde überwiegend aus natürlichen Materialien aus der Umgebung gebaut. Schon nach kurzer Zeit hat sich das gesamte Dorf an das Nahwärmenetz des Betriebes angeschlossen und ist heute komplett unabhängig von globalen Energiemarkt und nunmehr CO2 neutral.
Jan Rinke schreibt dazu im Deutschen Architektur Jahrbuch 2018 (DOM publisher): „Dieses Haus zeigt radikal Haltung und ist in allem so ganz anders als der Baubestand des Dorfes. Sein Beziehungsreichtum aus den Ideen seiner Bewohner macht es dennoch auf seine sehr eigenwillige Art ortstypisch. Damit führt es alle akademischen Suchen nach regionaler Baukultur als verkrampft vor. Dieses Haus ist ein Plädoyer für ein Entwerfen, das aus der Individualität des Bauherrn und dem Ort Inspiration schöpft.“
Im Norden Hessens plant Christoph Hesse ein ganz besonderes Haus in moderner Landhaus Architektur: "The Open House".
Modernes Landhaus: The Open House
Häuser in ländlichen Regionen müssen nicht immer dem klassischen Landhausstil entsprechen. Ein modernes Landhaus überzeugt durch klare Linien und eine Formensprache, die sich harmonisch in die Umgebung einfügt. Ein Beispiel dafür ist "The Open House" von Christoph Hesse und seinem Architektenteam.
Das moderne Landhaus entsteht auf der Halbinsel Scheid am Edersee in Nordhessen. Das Ziel des "Open House" besteht darin, die Menschen mit der Natur zu verbinden.
Um den Bezug zur Natur herzustellen, wurden die Elemente Erde, Wind, Feuer und Wasser berücksichtigt. "Es ist ein Haus des langsamen und elementaren Lebens", erläutert Christoph Hesse.
Bereits bei Betreten des Hauses mit insgesamt 90m2 Fläche verschmilzt die Architektur mit der Natur: Über eine Außentreppe taucht man in das Gebäude ein, als würde man in die Stille eines Waldes eintreten.
Im Erdgeschoss wird die natürliche Umgebung durch Lichthöfe indirekt erlebbar gemacht: Hier befindet sich ein offener Raum ohne Wände – man riecht die Erde, hört die Regentropfen und sieht das Streiflicht der Sonne. Der Raum dient als Gemeinschaftsraum zum Kommunizieren und Spielen. An heißen Sommertagen bietet er Schatten und eine erfrischende Brise.
Im Obergeschoss ist ein moderner Co-Working-Space untergebracht. "Ein Raum zum Arbeiten, Reden und Denken", erklärt Christoph Hesse. Hier erfährt man unmittelbar die Beziehungen zur umgebenden Naturlandschaft, hört etwa das Rauschen der Bäume oder beobachtet das Lichtspiel auf dem benachbarten See. "Es ist ein offenes Haus – für die Menschen, die Elemente und die Natur", so das Fazit von Architekt Christoph Hesse.