Skip to main content

Biophile Architektur: In der Natur zu Hause

Biophile Architektur stellt eine Verbundenheit zwischen Hausbewohnern und Natur her. Wir verraten, worauf es dabei ankommt, und zeigen einige innovative Beispiele.

Naturnahes Wohnen wird immer wichtiger

Mehr und mehr Menschen zieht es in Metropolen. Bis 2050 lebt laut Schätzungen der Vereinten Nationen ein Großteil der Weltbevölkerung in sogenannten Megacitys. Der Platz im urbanen Raum wird also zunehmend knapp – gleichzeitig sehnen sich immer mehr Menschen nach der Natur.

Dieser Entwicklung versuchen moderne Stadtplaner entgegenzuwirken. Immer mehr Architekten entdecken die Bedeutung eines natürlichen Wohnumfelds, das sich positiv auf das Wohlbefinden der Hausbewohner auswirkt.

Was heißt biophile Architektur?

Biophile Architektur integriert Elemente aus der Natur ins urbane Umfeld und in den privaten Wohnraum.

Das griechische Wort „bio“ steht für Leben, „philia“ bedeutet Liebe. Biophilie beschreibt also die "Liebe zum Lebendigen", die enge Verknüpfung zwischen menschlichem Wohlbefinden und Natur.

Biophile Architektur greift diese Idee auf und holt die Natur in unser Zuhause. Sie rückt bei der Hausplanung nicht nur den Menschen in den Mittelpunkt, sondern die Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur.

Generell lassen sich die Prinzipien biophiler Architektur im Neubau einfacher umsetzen als im Bestand.

 

Ob ein Streifzug durch die Wälder oder ein ausgiebiger Spaziergang über Wiesen und Felder – viele Menschen suchen in der Natur einen Ausgleich zum hektischen Alltag. Denn die Verbindung zur Natur bietet uns Gelegenheit zur Erholung und wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden aus.

Es liegt also nahe, die Natur in unser Zuhause zu integrieren. Diese Idee ist nicht neu.

 

Ursprünge biophiler Architektur

Schon seit Jahrtausenden spielt Natur im alltäglichen Lebensumfeld von Menschen eine Rolle und wird in Häuser und öffentliche Räume eingebunden. Klassische Beispiele sind etwa die Gartenhöfe der Alhambra in Spanien oder Bonsai in japanischen Häusern.

Der moderne Gedanke biophiler Architektur reicht zurück auf Henry David Thoreau. Der US-Schriftsteller lebte Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Jahre lang in einer selbst gebauten Blockhütte in den Wäldern von Massachusetts. Seine Erfahrungen vom naturnahen Leben hielt er in seinem 1854 erschienenen Buch "Walden oder Leben in den Wäldern" fest.

Durch den unaufhaltsamen technologischen Fortschritt entfernte sich der Mensch immer weiter von der Natur und natürlichen Prozessen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Bedeutung der Natur im Zuge der Industriellen Revolution neu entdeckt. Wohlhabende Europäer bauten luxuriöse Wintergärten an ihre Häuser an. Diese oft üppig mit Pflanzen ausgestatteten Anbauten dienten als Aufenthaltsorte, in denen die Nähe zur "Natur" zelebriert wurde.

Biophile Architektur in der Arbeitswelt

In unserer modernen Gesellschaft etablierte sich biophile Architektur zunächst in der Arbeitswelt. Denn das spezielle Design fördert unsere Konzentration und Kreativität und sorgt damit für effizienteres Arbeiten.

Und so integrieren heute nicht nur große Konzerne wie Google oder Apple natürliche Elemente in ihre Büroräumlichkeiten. Auch kleinere Unternehmen optimieren ihre Arbeitsplätze mithilfe biophiler Design-Elemente. Aber was sind biophile Bauelemente? Im nächsten Abschnitt erklären wir, wie biophile Architektur im privaten Hausbau umgesetzt wird.

Wie wird biophile Architektur umgesetzt?

Begrünte Fassaden, Dachbegrünung und natürliche Baumaterialien wie Holz und Schiefer, aber auch viel Tageslicht sowie Wasserelemente in den Innenräumen gehören zu den wichtigsten Faktoren biophiler Architektur.

Das Umweltberatungsunternehmen Terrapin Bright Green ist davon überzeugt, dass die Wiederherstellung der Verbindung zwischen Mensch und Umwelt zu einer gesunden und regenerativen Zukunft für alle führen wird. Biophile Architektur soll dazu beitragen, das Wohlbefinden der gesamten Gesellschaft zu verbessern.

Dabei spielen verschiedene Sinneswahrnehmungen eine Rolle, die positive Assoziationen mit der Natur wecken:

  • visuelle Reize
  • akustische Reize
  • haptische Reize
  • olfaktorische Reize

Terrapin Bright Green hat unter dem Titel "14 Muster für biophiles Design" einen Leitfaden für biophile Architektur herausgegeben, der sich u.a. auch an Architekten und Bauherren richtet.

14 Muster für biophiles Design

  1. visuelle Verbindung mit der Natur
    Blick auf natürliche Elemente und Systeme wie Zimmerpflanzen
  2. nicht-visuelle Verbindung mit der Natur
    akustische, haptische, olfaktorische oder gustatorische Reize, z.B. durch Duftöl
  3. arrhythmische sensorische Reize
    wiederkehrende Reize wie Bienen oder Vogelgezwitscher
  4. thermische und Luftstrom-Variabilität
    Schwankungen von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftbewegung
  5. Präsenz von Wasser
    Wasser sehen, hören oder spüren etwa in Form von Wasserspielen
  6. dynamisches und diffuses Licht
    Veränderungen von Lichtintensität und Schattenwurf
  7. Verbindung mit natürlichen Systemen
    Bewusstsein für natürliche Prozesse wie die Veränderung der Jahreszeiten
  8. biomorphe Formen und Muster
    Bezug zu natürlichen Formen, Mustern und Texturen wie Blättern oder Bienenwaben
  9. materielle Verbindung mit der Natur
    Verwendung natürlicher Materialien wie Holz oder Naturstein
  10. Komplexität und Ordnung
    Design und Anordnung von Objekten in Fraktalen
  11. Aussicht
    uneingeschränkte Sicht über größere Flächen und Entfernungen, z.B. mithilfe eines Panoramafensters
  12. Zuflucht
    Rückzugsort, an dem sich Bewohner eines Hauses sicher fühlen, etwa eine Relaxzone
  13. Geheimnis
    Einschränkung der Sicht, die zur Erforschung des Raumes einlädt, also z.B. durch Büsche und Bäume im Garten
  14. Risiko/Gefahr
    Elemente, die für Nervenkitzel sorgen, wie ein stabiler Glasboden in großer Höhe

Bei der biophilen Architektur ist also die physische Präsenz von Natur im Wohnbereich entscheidend. Selbstverständlich müssen nicht sämtliche Komponenten berücksichtigt werden, um eine Verbindung zur Natur im Wohnumfeld herzustellen.

Einige Grundmuster wie die Einbindung von Elementen, die Nervenkitzel versprechen, sind im Hausbau wenig sinnvoll, andere hingegen wie das Spiel mit Licht oder andere visuelle Elemente lassen sich mühelos integrieren.

Visuelle Reize

Eine visuelle Verbindung zur Natur lässt sich in der biophilen Architektur insbesondere mit Pflanzen und Wasser herstellen – also beispielsweise durch eine begrünte Fassade, eine Glaswand mit ablaufendem Wasserfilm oder einen schönen Vorgarten mit einem Zierbrunnen und einer Vogelfutterstelle.

Eine besondere Bedeutung kommt in der biophilen Architektur auch dem Fenster zu. Denn Hausfenster sind eine der zentralen Schnittstellen zwischen Wohnraum und Natur. Für einen uneingeschränkten Blick nach draußen ins Grüne bieten sich vor allem bodentiefe Fenster an. Sie ermöglichen eine direkte visuelle Verbindung zur Natur und lassen viel Tageslicht in die Innenräume.

Darüber hinaus gehören auch natürliche Materialien, Farben, Muster und Formen zur biophilen Architektur.

Natürliche Materialien und Baustoffe

Natürliche Materialien wie Holz, Schiefer und andere Natursteine passen perfekt zur biophilen Architektur.

Dabei sollten die verwendeten Materialien und natürlichen Baustoffe möglichst lokal produziert und nur minimal verarbeitet sein. Unbehandeltes Holz zum Beispiel ist atmungsaktiv, nachwachsend und recycelbar – das kommt auch der Umwelt zugute.

Begrünte Innenwände filtern Schadstoffe aus der Raumluft. Dabei muss es nicht gleich eine ganze sogenannte "Green Wall" oder Mooswand sein. Auch eine Teilfläche einer Innenwand lässt sich begrünen und verbessert so das Wohnambiente.

Naturbelassene Baustoffe wie Massivholz, Bambus und Ton eignen sich auch für den Innenausbau. In Kombination mit smarter Haustechnik und einer guten Wärmedämmung wird so ein angenehmes, gesundes Raumklima gewährleistet.

Organische Formen und Lichtwechsel

Die zeitgenössische Architektur führt zunehmend organischere Gebäudeformen mit weicheren Kanten ein. Im Gegensatz zum eher kantigen Bauhausstil werden bei der biophilen Architektur runde, organische Formen, wie sie in der Natur vorkommen, bevorzugt. Diese biomorphen Formen stellen eine indirekte Verbindung zur Natur her.

Ebenso wichtig für eine biophile Umgebung ist der Wechsel aus dynamischem und diffusem Licht. Eine Mischung aus hell erleuchteten und abgedunkelten Bereichen sorgt für Abwechslung und verdeutlicht die Veränderung der Intensität von Licht und Schatten, wie wir sie aus der Natur kennen.

Ein weiterer Aspekt biophiler Architektur sind die räumlichen Ausprägungen in der Natur. Verborgene Nischen und Ecken sorgen für mehr Dynamik im Eigenheim.

Genauso wichtig wie die sichtbaren Elemente ist aber auch eine nicht-visuelle Verbindung zur Natur. Dazu zählen beispielsweise Veränderungen der Lufttemperatur oder des Luftstroms.

Die zunehmende Verdichtung des städtischen Umfelds in Verbindung mit steigenden Grundstückspreisen erhöht die Bedeutung einer biophilen Gestaltung.

Biophile Architektur schafft Wohnräume, die erholsam und gesund sind. Gleichzeitig fügen sich diese speziell geplanten Häuser harmonisch ins umliegende (städtische) Ökosystem und verbessern sogar das Mikroklima. Am Ende profitieren also nicht nur die Hausbewohner, sondern auch das Umfeld vom Bezug zur Natur. 

Abschließend zeigen wir vier besonders innovative Beispiele für biophile Architektur.

Berühmte Beispiele biophiler Architektur

Senkrechter Wald in Mailand

Ein internationales Leuchtturmprojekt biophiler Architektur findet sich in Mailand. Der aus zwei Hochhäusern bestehende Gebäudekomplex Bosco Verticale – auf Deutsch: senkrechter Wald – von Stefano Boeri Architetti soll die Biodiversität der zweitgrößten Stadt Italiens verbessern. Doch nicht nur das lokale Mikroklima, auch das Raumklima in den Wohnungen soll durch die Begrünung optimiert werden.

Die beiden 80 respektive 112 Meter hohen Türme wurden mit insgesamt 800 Bäumen begrünt. Im Gegensatz zu Beton- oder Glasfassaden reflektiert der pflanzliche Schild die Sonnenstrahlen nicht, sondern filtert sie und schafft so ein angenehmes Mikroklima. Gleichzeitig reguliert der „grüne Vorhang“ die Feuchtigkeit, produziert Sauerstoff und absorbiert CO₂ und Mikropartikel.

Die Bewässerung wird digital und zentralisiert gesteuert. Das benötigte Wasser wird größtenteils aus dem gefilterten Abwasser der beiden Türme gewonnen.

Der Clou: Der Bosco Verticale bietet auch Tieren einen Lebensraum mitten in der Stadt. So haben sich nach Aussage der Architekten wenige Jahre nach der Errichtung des Gebäudes zahlreiche Tierarten – darunter diverse Vogel- und Schmetterlingsarten – angesiedelt.

Entsprechend den Grundideen biophilen Designs setzen die Pflanzen entsprechend den Jahreszeiten unterschiedliche Akzente. Botanikerin Laura Gatti und ihr Team achteten bei der Auswahl und Anordnung der Pflanzen darauf, dass die Pflanzen im Verlauf eines Jahres die Optik des Gebäudes immer wieder erneuern.

Gepflegt wird die grüne Pracht des Bosco Verticale übrigens von extra geschulten Baumpflegern. Die „Flying Gardeners“ steigen einmal jährlich von den Dächern der Gebäude herab, um den Zustand der Pflanzen zu überprüfen und sie gegebenenfalls zu ersetzen.

Biophile Architektur in Australien

Auch der Hochhauskomplex One Central Park in Sydney, entworfen von den Architekturbüros Foster + Partners, PTW Architects und Ateliers Jean Nouvel, ist ein Beispiel moderner biophiler Architektur. An den Fassaden der beiden Wohntürme, in denen sich 623 Wohnungen befinden, sind vertikal hängende Gärten angebracht.

Die begrünte Fassade, entworfen vom französischen Botaniker Patrick Blanc, ist wie eine Art lebendiger Wandteppich, bestehend aus Pflanzen, Blumen und Reben. Die individuell gestalteten Kästen mit insgesamt 85.000 Fassadenpflanzen werden von einem zentral gesteuerten Bewässerungssystem versorgt.

Das Konzept biophiler Architektur wird außerdem durch ein Heliostat im 28. Stock des Ostturms aufgegriffen. Der verspiegelte Apparat dient nicht nur als auffälliges Designelement, sondern reflektiert auch das Tageslicht in die darunter liegenden Gärten und das Atrium.

Biophiler Wolkenkratzer in Singapur

Mitten im Finanzdistrikt von Singapur ragt ein neuer Wolkenkratzer mit 51 Stockwerken empor. Der 280 Meter hohe Hochhauskomplex CapitaSpring, gemeinsam entworfen von BIG und CRA-Carlo Ratti Associati, wurde nach den Grundprinzipien von biophiler Architektur gestaltet.

An mehreren Stellen gewährleisten auseinander gezogene vertikale Fassadenelemente Einblicke in die grüne Oase im Inneren. CapitaSpring beherbergt über 80.000 Pflanzen. Eine Reihe üppiger, spiralförmig angelegter Gärten erstreckt sich vom Erdgeschoss bis nach oben.

In der Mitte des Wolkenkratzers ist ein vertikaler Park untergebracht, dessen Promenade sich über vier Ebenen zwischen tropischen Baumstämmen und Baumkronen hindurch schlängelt. Hier wird die Pflanzenhierarchie tropischer Regenwälder nachgeahmt: Das Blattwachstum der Pflanzen steht in direktem Verhältnis zur Lichtverfügbarkeit innerhalb der Vegetationsschichten. Das heißt, schattentolerante Pflanzen mit großen Blättern, die nur wenig Licht benötigen, befinden sich auf dem „Regenwaldboden“.

Ganz oben befindet sich ein großzügig angelegter Dachgarten, der einen spektakulären Ausblick auf die Metropole bietet. Hier ist zudem Singapurs größte urbane Farm untergebracht. Die Restaurants werden mit rund 150 Arten von Obst, Gemüse, Kräutern und Blumen versorgt.

Innovativer Selbstversorger-Garten

"The Farmhouse", ein Projekt des österreichischen Architekturbüros Precht, soll Menschen der Nahrungsmittelverarbeitung wieder näherbringen. Denn diese werden laut Fei und Chris Precht durch die Industrialisierung immer mehr in den Hintergrund gedrängt, dadurch entfremden wir uns von der Nahrungsmittelproduktion und verlieren den Bezug zu natürlichen Prozessen.

Der Hochhaus-Entwurf basiert auf einem modularen Baukasten-System, dessen dreieckige Einzelteile vorgefertigt werden können. So kann je nach Bedarf in die Höhe oder in die Breite gebaut werden. Damit lässt sich nicht nur ein Hochhaus, sondern auch ein Einfamilienhaus oder ein Tiny House realisieren.

Der strukturelle Aufbau basiert auf traditionellen A-Frame-Häusern. In den Giebeln der Module befinden sich Wohnräume, dazwischen sind Anbauflächen für Obst und Gemüse untergebracht. So wird der Anbau von Lebensmitteln wieder sichtbar und nachvollziehbar gemacht.

Meist geklickte Beiträge:

Hier geht's zurück zur Startseite.

Über bau-welt.de

Wer einen Hausbau plant oder einen Altbau saniert, hat in der Regel viele Fragen. bau-welt.de informiert Bauherren und Renovierer über alle wichtigen Themen und gibt hilfreiche Tipps. 

Mit unserem Haus-Konfigurator können Sie schnell und einfach nach Ihren persönlichen Suchkriterien nach neuen Häusern suchen, ob Massivhaus oder Fertighaus.

Über den CPZ-Verlag

Der City-Post Zeitschriftenverlag publiziert seit über 40 Jahren Zeitschriften für die Zielgruppe der privaten Bauherren und Modernisierer.

Zum Portfolio gehören u.a. die Zeitschriften Das Einfamilienhaus, Umbauen + Modernisieren und Unser Haus sowie zehn Sonderpublikationen. Erfahren Sie mehr über den CPZ-Verlag. Hier finden Sie unsere Mediadaten.