Alte Scheune, neues Juwel
Die etwa 300 Jahre alte, denkmalgeschützte „Huchler Scheune“ in Waiblingen stand bereits seit vielen Jahren leer und war stark sanierungsbedürftig. Zwei Architekten erkannten das Potenzial der Scheune, die nun in neuem Glanz erstrahlt.
Zwei Architekten nehmen sich dem Denkmal an
Die Architekten Alexander Wendlik und Zlatko Antolovic von COASToffice überzeugten die Stadt Waiblingen mit ihrem Nutzungs- und Sanierungskonzept. Nun bietet das grundständig sanierte Schmuckstück einer Wohnung und Büroräumen Platz.
Seit fast 300 Jahren tat die Huchler Scheune, benannt nach den früheren Eigentümern, als Lager- und Wirtschaftsgebäude ihren Dienst. In den letzten Jahren konnte das denkmalgeschützte Gebäude, das mittlerweile in den Besitz der Stadt Waiblingen übergegangen war, allerdings wegen des maroden Zustandes nicht mehr genutzt werden.
Trotz der einmaligen Lage im historischen Stadtzentrum, direkt an der alten Stadtmauer mit Wehrgang, die zugleich eine Außenmauer des Gebäudes bildet, nahm sich niemand der Scheune an und das Fachwerkhaus verfiel immer weiter – bis die beiden Architekten die Scheune entdeckten.
Dank langjähriger Erfahrung mit der Sanierung historischer Bausubstanz erkannten die beiden das Potenzial des Gebäudes und konnten die Stadt Waiblingen und das Denkmalamt mit ihrem schlüssigen Nutzungs- und Sanierungskonzept überzeugen und die Immobilie erwerben.
Der Umbau einer Scheune: Viel zu tun
Eine Bestandsaufnahme für den Umbau der Scheune förderte die Schäden an dem alten Gemäuer zutage: Außer den offensichtlichen Feuchteschäden entdeckten die Architekten auch marode Stellen an den Giebeln und der Holzbalkendecke. Deckenbalken, Dachsparren, Holzschwellen und Pfetten mussten denkmalgerecht ausgewechselt oder ergänzt werden. Außerdem hatte sich das Gebäude im Lauf der Jahre Richtung Stadtmauer geneigt – bis zu einem halben Meter fielen die Geschossebenen ab.
Um die Standsicherheit zu gewährleisten bzw. wiederherzustellen, wurde als erstes ein neues Fundament gegründet und das historische Holztragwerk zusätzlich mit Stahlstützen und -trägern statisch unterstützt. Trotz des neuen Statikkonzeptes durfte der Ausgleich des schrägen Fußbodens nicht viel zusätzliches Gewicht mit sich bringen.
Leichte Lösung gesucht
Durch die geringe Aufbauhöhe von nur zwei Zentimetern konnten die abfallenden Geschossebenen ausgeglichen werden, ohne am höchsten Punkt Raumhöhe zu verlieren. Ein weiterer Vorteil: Nach nur ein bis zwei Tagen ist dieser Leichtestrich bereits begehbar und belegereif, sodass die Bauarbeiten zügig voranschreiten können.
Und auch die Stadtmauer, die jahrelang das Gewicht des kippenden Hauses aushalten musste, benötigte eine umfangreiche und denkmalgerechte Sanierung.
COASToffice bezog die Stadtmauer kunstvoll in das Konzept der internen Erschließung für den Umbau der Scheune ein: Eine schwarze Stahltreppe führt heute entlang der Stadtmauer in die beiden oberen Stockwerke und setzt die historische Bruchstein-Außenwand wunderbar in Szene.
Überzeugender Ausblick
Zlatko Antolovic und seine Frau Anja Richter, ebenfalls Architektin, sahen bereits bei der Erstbegehung der sechsstöckigen Scheune die verborgenen Potentiale und Möglichkeiten der oberen Etagen:
„Der Blick durch die kaputten Dachziegel über die Dächer von Waiblingen und über die Rems ins Grüne war einfach bestechend.“
Schnell waren sie sich einig, dass in den drei Dachgeschossen ihr neues Zuhause entstehen sollte. Der historische Wehrgang im zweiten Obergeschoss bildet nun den Zugang zu ihrer Wohnung. Vom Eingangsbereich mit Garderobe führt eine schwarz gebeizte Eichentreppe in das darüber liegende Wohngeschoss.
Auch diese Treppe läuft an der Stadtmauer entlang und lässt die Bruchsteine wie ein Ausstellungsstück wirken. Im dritten Obergeschoss, dem Wohngeschoss, erinnern die 300 Jahre alten, unbehandelten Holzbalken noch an die Geschichte der Scheune, ansonsten erinnert aber nichts mehr an Heu, Stroh und Lagerware.
Lichtdurchfluteter Umbau der Scheune
Der 95 Quadratmeter große Raum überzeugt mit seiner lichtdurchfluteten Größe. Durch das freigelegte historische Dachtragwerk wird der Raum deutlich in mehrere Zonen gegliedert, die innenarchitektonisch aufgegriffen und mit verschiedenen Funktionen wie Kochen, Essen, Wohnen und Arbeiten belegt wurden.
Trotz zwölf Metern Grundrisstiefe ist der „loftartige“ Raum auch noch in der Mitte tageslichtdurchflutet. Diese besteht aus zwei nebeneinanderliegenden Klapp-Schwingfenstern und zwei festverglasten Elementen darunter.
Durch den schmalen Übergang zwischen Dachfenster und Zusatzelement entsteht eine fast durchgehende Glasfläche vom Boden bis zur Decke, die nicht nur einen sehr hohen Lichteinfall ermöglicht, sondern auch einen Panorama-Ausblicküber die Rems ins Grüne bietet. In Verbindung mit denDachfenstern auf der Südseite und den Fassadenfenstern ist der Raum tagsüber und bei jedem Wetter ausreichend mit Tageslicht versorgt.
Blickfang Treppenmöbel
Blickfang im Raum ist das vom Architekten entworfene Treppenmöbel. Es steht genau an der Stelle, an der sich früher der Flaschenzug zur Beförderung der gelagerten Ware befand. Der aus gebürstetem, schwarz gebeiztem, heimischem Fichtenholz bestehende Holzblock bietet nicht nur Platz für Schränke, Abstellraum und sogar eine Hausbar, auch die Treppe in das darüber liegende Stockwerk findet in der Mitte des Möbels ihren Platz.
Im vierten Obergeschoss befinden sich die privaten Rückzugsräume der Familie: Schlaf- und Kinderzimmer sowie das Familienbad. Alle Räume sind nach dem Umbau der Scheune großzügig mit Dachfenstern ausgestattet, sodass die gesamte Etage angenehm hell und einladend wirkt. Der Luftraum über der Treppe und die offene Balkenlage mit Dachfenstern auf beiden Seiten des Satteldaches unterstützen diesen Eindruck.
Helles Kinderzimmer im Dach nach dem Umbau der Scheune
Auch das Richtung Norden gelegene Kinderzimmer erhält Licht von zwei Seiten: Das Zimmer ist zweigeschossig mit einer Galerie zur Südseite gestaltet, sodass das Tageslicht von beiden Seiten in den Raum fallen kann. Großen Anklang im Bad findet die Wanne direkt unter zwei großen Dachfenstern, vor allem bei den Kindern.
Das oberste Stockwerk bietet noch ein Arbeits-, Lese- und Musikzimmer. Auch hier setzte der Architekt auf eine offene Struktur: Weiß lasierte Holzlatten ermöglichen den Kontakt zur unteren Ebene und lassen das Tageslicht durch die Dachfenster auch noch in das darunterliegende Stockwerk fallen.
„Als Architekten beschäftigen wir uns täglich mit Tageslicht und der Wirkung auf Architektur, Raum und vor allem die positive Auswirkung auf das menschliche Wohlbefinden, daher haben wir bei der Planung gleich auf eine entsprechend große Fensterfläche und einen dadurch hohen Tageslichtanteil geachtet.”
So sind ein Dachfenster im Kinderzimmer und ein Element der Lichtlösung Quartett im Küchenbereich Ausstiegsfenster – Denkmalschutzamt und Feuerwehr akzeptieren dies in der Regel als zweiten Rettungsweg.
Funkgesteuerte Solarfenster
An Positionen, die per Hand nur schlecht zu erreichen sind, baute Antolovic Solarfenster beim Umbau der Scheune ein, die komfortabel per Funksteuerung geöffnet und geschlossen werden können. Und für die Fenster auf der Südseite wählte Zlatko Antolovic solarbetriebene Rollläden: Sie verdunkeln die Räume perfekt und reduzieren außerdem den Hitzeeintrag durch die Fenster um bis zu 92 Prozent.
„Das macht sich auf der Südseite mit der intensiven Sonneneinstrahlung schon deutlich bemerkbar.“
Umbau der Scheune: Gut geplant
Zusammen mit der natürlichen Lüftung durch die Fenster ist so ein gesundes Raumklima ohne Gefahr der Schimmelbildung garantiert – damit die Scheune noch lange ein Schmuckstück bleibt.
„Uns ist ein gesundes Raumklima sehr wichtig, wir haben das Haus daher nicht komplett gedämmt, sondern darauf geachtet, dass das Haus noch atmen kann.“
UMBAU DATEN
Projekt: Denkmalgerechte Sanierung und Umnutzung einer historischen Scheune
Wohnfläche: Wohnung 150 m2, Büros 245 m2
Heizung: Gasheizung